Ist es möglich, dass Hoffnungslosigkeit langweilig wird?
Dass die kommende Nacht und das ewige Düsternis uns zu ermüden anfangen? Darüber dachte Friedrich Nietzsche bereits 1882 nach. Könnte es sein, fragte er sich, dass Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit irgendwann zu ermüdend werden und der Mensch eines Tages der Negativität überdrüssig wird?
Ein faszinierender Gedanke. Und tatsächlich: Auch ich bin der allgegenwärtigen Hoffnungslosigkeit zutiefst überdrüssig. Und ich bin nicht alleine: Eine deutsche Studie zeigt, dass mehr als zwei Drittel der Menschen mindestens gelegentlich Nachrichten aktiv meiden – wichtigstes Motiv sind die negativen Auswirkungen auf die eigene Stimmung.
Vielleicht fehlt uns heute das, was Nietzsche den metaphysischen Trost nannte. Ein Trost, der nicht die äusseren Umstände verändert, aber unsere innere Haltung. Er nimmt die Trauer nicht weg, aber er schenkt eine Perspektive, einen Sinn, der über das Unmittelbare hinausweist.
Ein Beispiel:
Ich lese ein Buch oder höre ein Musikstück, das mir eine tiefere Bedeutung, eine Schönheit offenbart, die grösser ist als meine momentane Verzweiflung. Plötzlich fühle ich mich verbunden mit einem Ganzen, das trägt. Ich erkenne, dass selbst in ausweglosen Zeiten etwas Wertvolles aufscheinen kann.
Von diesem Zauber gegen die monotone Hoffnungslosigkeit möchte ich mehr. Ich will die Poesie des Lebens freilegen, mich rüsten gegen die Abstumpfung und gegen das Nicht-Wissen-Wollen.
Möge diese Poesie des Lebens im neuen Jahr kraftvoll zu uns sprechen.
Dorothea Loosli