Der ist wie ein Baum, an Wasserbächen gepflanzt

In den letzten Monaten bin ich in vielerlei Weisen Bäumen begegnet. Im Regenwald auf Vancouver Island staunte ich vor Bäumen, die weit über 1500 Jahre alt sind. Längst haben andere Bäume darauf Wurzeln geschlagen, ein ganzer Garten, aber alles ist getragen von einem hochaufragenden Stamm mit beeindruckendem Umfang. Welche Zeiträume hatte dieser Baum durchlebt! In Stürmen war da wohl schon oft die Krone abgebrochen, aber das gab mehr Licht in die unteren Teile des Baumes, und neue Äste wuchsen heran.

Ganz anders die Weiden, die ich einige Wochen später an der Saane entdeckte. Ein Hochwasser musste da die Ufer überflutet haben, Stämme lagen mit ausgerissenen Wurzeln am Boden. Ich sah zuerst nur ein Bild der Verwüstung. Erst als ich genauer hinsah, sah ich, dass aus all diesen Stämmen schon neue Zweige ausschlugen, ein dichtes Gestrüpp aus neuen Trieben. Einige davon hatten schon neue Wurzeln im Kies gebildet.

Die Weide ist ein Pionierbaum. Wurzelt an Wasserbächen auf kiesigem Boden. Sie ist nicht auf lange Zeit angelegt, hoch gehende Bäche und Flüsse können sie immer mal wieder umreissen. Aber diese Momente sind für sie keine Katastrophe, sie gehören zum Zyklus ihres Lebens. Aus dem alten Baum wachsen in diesem Moment eine Unzahl von neuen Trieben, die bald zu eigenen Bäumen werden. Der alte Stamm gibt sein Leben weiter, sobald er am Boden liegt, und das Leben geht in anderen Formen weiter.

In der Kommunität auf Iona Island habe ich ein Lied von Pablo Sosa kennengelernt. «Árbol plantado junto a las aguas de vida eterna de nuestro dios. » Ein Baum, gepflanzt an den Wassern des ewigen Lebens unseres Gottes. Sosa wünscht der Kirche, sie möge wie ein Baum sein im Garten hinter dem Haus, an dem wir Feste feiern und manchmal ein Gebet sprechen unter seinen Ästen. Oder wie ein Baum auf dem Dorfplatz, wo Vögel in den Ästen nisten und müde Reisende Zuflucht und eine Ruhebank finden: Ein Baum gepflanzt an Wasserbächen. Sosa hat bei diesen Wasserbächen wohl eher an die Beständigkeit einer Quelle gedacht als an reissende Flüsse, die Bäume entwurzeln. Aber gehören nicht auch solche zu den Wassern des ewigen Leben unseres Gottes?

Drei Bilder von Bäumen, die ganz Unterschiedliches erzählen. An allen Orten bin ich gern gewesen, an allen Orten bin ich Wünschen nachgehangen, wie Kirche sein könnte. Ein beständiger Organismus über mehr als tausend Jahre hinweg ebenso wie eine Weide, die ihr Leben beständig weiter gibt an andere, die in neuen Gewächsen weiterfahren. Und ich bin dankbar für diese Geschöpfe, die Bäume, deren Leben mir fremd und doch so nah ist.

Jürg Bräker

Beitrag teilen